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Sonntag, 30. September 2018

Juse Ju im Interview | Shibuya Crossing Tour 2018

27. September 2018 - Juse Ju im Druckluft. Das bedeutet Skateboard Tricks, Moshpits und vielleicht auch ein wenig Nostalgie, wenn man an eine Battle Cypher erinnert wird, für die vor mehreren Jahren in das entlegene Oberhausen gereist wurde. Juse Ju trägt vor 300 Leuten seine Geschichte vor, von der man nun auch ein kleiner Teil zu sein scheint. Das erste Kapitel dieser Geschichte ist in seinem Coming of Age Album auffindbar. Shibuya Crossing heißt es und handelt von einer rastlosen Kindheit in allen Farben leuchtender LED's. Doch noch vor dem Konzert konnte ich ihn zum Interview treffen:

Du bist neben Kirchheim auch in den USA und Japan groß geworden, das spielt auf deinem Album eine große Rolle, würdest du auch sagen, dass es so für dich als Mensch die wichtigste und prägendste Zeit war?

Juse Ju: USA war schon eine lustige Erfahrung, aber Japan ist auf jeden Fall eine sehr krass prägende Zeit gewesen, weil ich von Japan von sechs bis elf Jahren gelebt habe. Da sagt man jetzt, okay, fünf Jahre ist jetzt vielleicht gar nicht so krass, aber vor sechs bist du ja kein Mensch, der jetzt alleine irgendwo hingeht. Da bist du erst einmal 3-4 Jahre ein Kleinkind und checkst gar nichts. Dass ich überhaupt alleine zur Schule gegangen bin und alleine Sachen gemacht habe, habe ich ja zum ersten Mal in Japan so richtig gemacht. Erstes eigenes Geld, eingeschult werden, quasi von einem Anhängsel deiner Eltern zu einer Person werden, das habe ich halt in Japan durchlebt und deshalb war das auf jeden Fall eine sehr sehr prägende Zeit, weil das ja das erste Mal ist, dass man sich so richtig sozial irgendwo einbindet, das war dann halt eine besondere Situation. Aber die Japaner sind insgesamt sehr sozial, insofern ist es auch ganz gut da.

Kannst du dich heutzutage irgendwo, an einem physischen Ort, zuhause oder angekommen fühlen?

Juse Ju: Nein, ich glaube aber, dass sich viele Leute nicht angekommen fühlen. Ich glaube alle Leute die in Berlin leben fühlen sich nicht angekommen. Auch in Berlin nicht. Und auch wenn Kraftklub das in diesem Song irgendwie sagen. „Berlin, ich fühle mich schon richtig angekommen“ und so. Ich weiß es nicht ob es daran liegt, dass ich in so vielen Ländern aufgewachsen bin, aber ich hab jetzt nicht einen Ruhepunkt oder so. Meine Eltern leben auch nicht mehr in Kirchheim, worum der erste Song geht, die leben in München. Ich habe keinen Spot wo es immer hingeht. Schade. Ich hätte gerne ein Kinderzimmer wie in amerikanischen Filmen. Mit einer Tapete die dann immer noch so bleibt, so eine Kindertapete mit Raketen und Astronauten drauf, wo ich dann immer wieder nach Hause gehen kann: „Mum! Did you change something in my room?“ So stelle ich mir das vor. Aber so etwas habe ich nicht. Schade.

Vermisst du etwas konkret in Deutschland, was es in Japan beispielsweise gab?

Juse Ju: Jedes Land hat ja positive Sachen. Ich bin schon ein ziemlicher Alman, das heißt ich fühle mich an sich in Deutschland schon am verstandensten. Ich bin halt kulturell komplett ein Deutscher. Diese ganzen Leute, die in Deutschland rumrennen und sagen: „Ich bin nicht so ein Alman, ich bin nicht so ein Deutscher!“, das ist lächerlich. Die sind halt komplett alman. Denen fällt das nur nicht auf, was für Almans sie sind, weil sie noch nie in einer Kultur gelebt haben, die nicht alman ist. Selbst wenn du jetzt nach Holland ziehst, oder meinetwegen nach Spanien, was auch schon anders ist, aber alles in Europa, oder auch USA, ist ja ziemlich ähnlich wie Deutschland. Wenn du aber mal nach Japan ziehst, ist es vom state of mind schon echt anders. Obwohl die ja auch eine Industrienation sind. Klar, Japan hat positive Aspekte, ich habe auf jeden Fall immer sehr Sehnsucht nach Japan, aber auf der anderen Seite hat Japan auch sehr negative Seiten.

Könntest du dir vorstellen wieder eine längere Zeit in Japan zu leben?

Juse Ju: Im Moment steht es einfach überhaupt nicht im Raum. Das geht auch einfach beruflich nicht. Es gibt da einfach nichts für mich zu tun und in Japan brauchst du sehr viel Geld. Das ist zum Beispiel ein negativer Aspekt in Japan, dass sich schon sehr viel immer um Geld dreht. Mehr als in Deutschland. Ich sag mal, das alternative Denken in Richtung „es muss nicht alles Konsum sein“, ist ein bisschen schwächer dort, wobei man sagen muss, dass es mit Sicherheit auch an der Region liegt. Tokio ist halt schon eine sehr auf Konsum ausgerichtete Stadt. Ich kann mir vorstellen, dass es schon auch Orte gibt, wo die Mentalität anders ist. Aber ich kenne halt vom Wohnen her nur Tokio gut und da ist es auf jeden Fall so. Also nein, ich werde in den nächsten Jahren jedenfalls nicht nach Japan ziehen, aber ich war in den letzten zwei Jahren jeweils zwei Wochen da. Und finde es cool.

Hast du generell ein größeres Interesse daran, neue Kulturen oder Regionen kennenzulernen und davon etwas für dich persönlich mitzunehmen?

Juse Ju: Ich hab schon irgendwie einen Faible dafür, mich in einen Auslandsaufenthalt rein zu werfen. Ich meine, im Endeffekt habe ich das 2010 mit Japan auch noch mal gemacht. Ich war nach 1993 zum ersten Mal nach Japan zurückgekommen, also erst 17 Jahre später. Das war schon noch mal eine neue Erfahrung, obwohl ich das alles natürlich kannte. Aber sich noch einmal neu zurechtzufinden finde ich auch ganz geil. Es ist ja nicht mal so, dass ich das nur mit diesen Ländern habe, sondern auch mit Städten. Ich habe ja auch schon in München, in Köln, in Kirchheim, Berlin und so gelebt. Ich habe ja in vielen Städten gelebt und mich immer neu orientiert, das macht mir schon Spaß. Aber im Moment ist es einfach so, dass es keinen Sinn ergeben würde. Ich bin auch nicht mehr 22 und kann mir irgendwie überlegen, dass ich morgen irgendwo anders hinziehe. Ich habe mittlerweile einfach Sachen, die ich verfolgen muss und habe jetzt nicht mehr eine Zeit, wo ich sagen kann: „Hey, ich habe jetzt mein Studium beendet, jetzt bin ich frei und kann machen was ich will.“ Sondern ich bin jetzt auch ein bisschen stärker eingebunden als früher.

Wo du jetzt sowieso erst einmal in Deutschland unterwegs bist, dein erstes Tourwochenende hast du schon hinter dir, wie fühlt es sich an eine Headliner Tour zu spielen, nachdem du schon das ein oder andere Mal als Support Act mit dabei warst?

Juse Ju: Ich glaube es ist sehr gut, schon zwei so große Touren mitgemacht zu haben. Eigentlich drei um genau zu sein. Fatoni habe ich insgesamt zweimal begleitet und die Antilopen Gang eigentlich anderthalb mal, dadurch hat man eben schon viel erlebt. Tour ist ja auch ein Job, den man irgendwie lernen muss. Deshalb war es ganz gut, dass ich mich schon mal darauf vorbereiten konnte, mal so orientieren konnte. Und ja natürlich ist das nicht zu vergleichen. Als Opener bist du der Spaßvogel der am Anfang ein bisschen Warm Up macht und danach müssen die anderen liefern. Und heute muss ich halt liefern. Ich spiele auch nicht mehr nur 30 oder 40 Minuten, sondern ich spiele halt jetzt 70 oder 80 Minuten.

Zudem hast du jetzt wahrscheinlich auch ein kleineres Team hinter dir, als die Antilopen Gang beispielsweise.

Juse Ju: Ja, aber mein jetziges Team ist nicht so viel anders als das der ersten Fatoni Tour, würde ich sagen. Da waren wir auch in einem Sprinter unterwegs und da waren wir auch irgendwie fünf, sechs Leute. Mehr ist es dann auch nicht. Aber bei der Antilopen Gang hast du als Vorgruppe ja auch nicht dieses Team. Dieses Team arbeitet ja nicht für dich, die arbeiten ja für jemand anders. Bei Fatoni ist es ein bisschen anders. Da muss man sagen, waren wir alle das Team, so ist es ein bisschen auf meiner Tour auch. Der Curly begleitet mich jetzt als Vorgruppe, aber da gibt es nicht diese Hierarchien, die sind nicht so stark. Desto größer die Touren werden, desto mehr merkst du diese Hierarchien. Die Antilopen Gang sind auch sau coole Typen, aber da merkt man, das es halt eine große Produktion ist. Da musst du dich als Vorgruppe auch ein bisschen hinten anstellen, aber das ist ja klar, die Leute zahlen ja nicht für mich, die haben ja nicht für mich das Ticket gekauft. Jetzt schon! Heute schon! Aber bei der Antilopen Gang, wenn da 3.500 Leute in die Columbiahalle kommen, glaube ich nicht, dass die die Tickets wegen mir gekauft haben. Und klar, da stelle ich mich dann auch gerne hinten an. Das ist kein Problem. Nur wenn ich jetzt selber 300 Tickets am Abend verkaufen kann, dann werde ich keinen mehr supporten, der selber nur 300 Tickets verkauft. Was heißt „nur“, 300 Tickets sind super! Also ich finde es mega krass. Aber wenn jetzt irgendwer, was weiß ich, Casper kommt, dann müsste ich mich ja auch hinten anstellen.

Was deine live Show betrifft, konntest du deine Ideen in den kleinen Clubs kompromisslos umsetzten, eben so wie du dir das vorgestellt hast?

Juse Ju: Meine ganze Show ist ja darauf ausgerichtet, quasi sehr interaktiv und sehr nah dran zu sein. Größere Bühnen wären eher mein Problem. Ab dem Zeitpunkt, wo sage ich mal, über 1000 da sind, wird es schwer so direkt mit den Leuten zu kommunizieren. Die Songs sind natürlich das selbe, aber auf den Festivals zum Beispiel habe ich schon auch andere Sachen ausprobiert. Da hatte ich auch eine Tänzerin dabei, also eine Breakerin. Die hat nicht an der Stange getanzt (lacht)! Die kam dann mit einem Triple Salto auf die Bühne gesprungen und hat andere Powermoves gemacht.

Stichwort Festivals: Machen dir Festivalshows oder deine eigenen Konzerte mehr Spaß?

Juse Ju: Das ist total abhängig vom Ort. Es gab bestimmt Festivals die cooler waren als mache Tourgigs. Aber an sich sind Tourgigs, wenn du eine eigene Tour spielst, immer am besten, weil du auf die Bühne gehst und da sind Leute nur wegen dir. Das hast du ja nirgends anders. Auf einem Festival, da kommen schon auch ein paar Leute wegen dir, aber die gucken sich halt das Gesamtprogramm an. Die sagen: „Ja, gehen wir zu Juse Ju, gehen wir zu Tocotronic, gehen wir zu haste nicht gesehen.“ Aber hier ist es halt noch mal anders, weil ich jetzt auf der Tour gemerkt habe, dass ich auf die Bühne komme und die Leute vom ersten Song an mitrappen. Das ist gut, denn dann muss ich weniger rappen!

Also ist die Stimmung auf den Konzerten auch, du sagtest, sehr eng, nah an den Leuten, und intensiv vielleicht?

Juse Ju: Ja hoffentlich! Es ist ja auch nicht jeden Abend gleich. In Leipzig zum Beispiel, das war der Tourauftakt, da war es mega krass! Da waren 350 Leute und das war vom ersten Song an, ich sag jetzt nicht was der erste Song ist, sonst überrasche ich keinen mehr auf Tour, aber vom ersten Song an sind alle gesprungen und abgegangen und haben gepogt und so, das ist halt schon noch mal eine ganz andere Hausnummer. Das hast du nicht, wenn du nicht ein Star bist, auf einem Festival. Und ich bin kein Star, ich bin sehr weit davon entfernt, also sehr weit! Ich glaube die Antilopen Gang hat das auch nicht so stark. Wenn du Marteria bist, dann hast du das wahrscheinlich.

Hast du bereits eine besondere Anekdote zu deiner Tour?

Juse Ju: Ja! Ich habe es tatsächlich geschafft gleich am ersten Tag das dümmste zu tun, was es gibt. Wir sind nach Leipzig gefahren, steigen aus und haben die Location sogar ein bisschen früher öffnen lassen, sogar Geld dafür bezahlt, damit wir mein neues Live Set ausprobieren können. Wir hatten da eine MPC Live, das ist jetzt alles ein bisschen technisch, jedenfalls brauchten wir länger um das einzumischen und die habe ich mal schön in Berlin gelassen. Du musst dir vorstellen, wir kommen rein und ich merke: Ah, ich hab quasi die Band vergessen. Ich war bei meinem ersten Gig und habe das wichtigste, was man vergessen kann, vergessen. Dann musste Fatoni aus Berlin zu mir nach Hause gehen, dort das Teil holen und dann aus Berlin nach Leipzig fahren. Darüber hat er dann eine ganze Radiosendung gemacht. Da habe ich mir also bei meinem ersten Tourgig den Fail geleistet, der geht. Aber im Endeffekt ist es ja gut ausgegangen, weil die Leute in Leipzig deshalb das Glück hatten einfach so einen free Fatoni Gastauftritt zu haben, weil der natürlich nicht dahin kommt und dann sagt: „Ne, jetzt rappe ich nicht.“, sondern: „Ich muss auch!“ und „Lass uns die Features spielen, geil, geil, geil!“ Ja, fand er geil.

War es dein Ziel, irgendwann eine eigene Tour zu spielen?

Juse Ju: Ja. Ich meine, wenn du Support-Touren spielst, dann denkst du natürlich auch schon darüber nach eine eigene Tour zu spielen. Aber ich weiß nicht, die Leute wollen immer so diesen american dream mäßigen „i had a goal and i reached the“, aber mich interessiert das nicht so sehr darüber zu reden, was man irgendwie möchte, sondern du musst halt machen. Wenn es dann möglich ist, ist es schon geil und dann kann man das machen, aber irgendwie rumzulaufen und zu sagen: „Ja, noch bin ich Support, aber bald spiele ich meine eigene Tour!“, wo ich so denke: Ja vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Mir kommt es eher darauf an Sachen gut zu machen. Wenn die dann gut sind, ist es geil.

Das hat bei deinem Album ja auch funktioniert. Hast du damit gerechnet, dass es derart viral geht?

Juse Ju: Ehrlich gesagt doch. Also ich hatte für das Album Ziele, aber ich bin Mitte 30. Ich sehe das immer bei so jungen Rappern, auch wenn man mit denen redet, dass die wahnsinnig enttäuscht sind, wenn sie ihr erstes Release raus gebracht haben und sie nicht durch die Decke gehen. Da denkt man: Ja natürlich nicht. Das passiert halt mal bei einem Cro und das passiert halt mal bei Anderen, aber selbst die Leute, die heute krass erfolgreich sind, deren erstes oder zweites Release war auch nicht so krass. Ich habe mir halt überlegt, was ein realistisches Ziel ist, was ich mit dem Album erreichen kann. Und da war schon das Ziel sozusagen, dass ich nach dem Album eine Tour spielen kann und dass das Album auf jeden Fall gute Bewertungen bekommt, dass es Leuten gefällt, all diese Sachen eben. Und das Album hat die Hoffnungen, die ich hatte, auf jeden Fall erfüllt. Ich hatte ja auch nicht so Wolkenkuckucksheim Hoffnungen, so etwas wie: „Boah, wenn das Album kommt, dann starte ich so krass durch.“ Dafür bin ich einfach viel zu lange in der Medienbranche. Ich arbeite ja auch beim Radio und ich weiß ja, dass die Musik, die ich mache, ich sag mal so, auf Lyrics geeichter Hip Hop, dass das nicht das ist, womit du halt Millionen scheffelst. Da gibt es eine Szene, der das gefällt. Da gibt es dann Figuren wie Fatoni oder Audio88 & Yassin oder Mädness & Döll, die halt in dieser Szene am Start sind. Ich wollte mit denen in einer Linie genannt werden, was davor definitiv nicht war, aber jetzt langsam geht es halt in die Richtung. Mir war aber auch klar, dass ich nicht überraschenderweise ein Nummer eins Album haben werde, das passiert natürlich nicht. Ich weiß ja auch wie viel gestreamt wird und wie das mit dem Streaming aussieht. Und so lange ich nicht irgendwie Mumble Autotune Rap Zeug mit Gangster Inhalt mache, wird das auch nicht so viel gehört. Ich mache halt Musik für Leute, ich sag mal, über 20. Leute über 20 haben meistens besseres zu tun, als den ganzen Tag ihren Free Spotify Account auf Retour laufen zu lassen und deshalb machst du damit halt nicht so viele Streams. Du bist nicht so hyped, aber du erreichst trotzdem ein Publikum.

Diese ganze Medienwelt, die tun immer so als gäbe es sozusagen gut gemachte Sachen nicht. Die Labels schielen ja immer eher auf diese Explosionen. Heute hot, morgen flop und so etwas. Das ist aber nicht das, was ich mache, sondern ich bediene ein Publikum, was man sich langsam aufbaut, aber die dann auch dabeibleiben. Und die halt älter sind und sich deshalb nicht wie Teenies verhalten. Aber wenn du heutzutage viel Aufmerksamkeit willst, brauchst du Klicks. Und die kriegst du nur durch die Teenager. Es gibt auch einfach Bands, die kennen Teenager gar nicht und verkaufen trotzdem 1500er Hallen aus. Ohne, dass sie viel machen müssen. Das ist halt der Unterschied, ob du irgendwie auf Teenie-Pausenhof-Relevanz gehen willst oder ob du halt Musikhörer ansprechen willst. Und da ich selber kein Teenie auf dem Pausenhof mehr bin, interessiert es mich viel mehr Mittzwanziger bis Mittdreißiger anzusprechen, weil ich auch über gar nichts anderes reden kann, als deren Welt, weil ich in der anderen Welt nicht bin. Was soll ich denn den Teenies erzählen? Ich habe denen nichts zu sagen.

Das war auch die große Debatte, als die Spotify Streams für jegliche Auszeichnungen herabgesetzt wurden, weil viele große deutsche Pop-Musiker gar nicht auf dieser Plattform vertreten sind. Ergo von dieser Entscheidung überhaupt nicht betroffen sind, da deren Zielgruppe auch nicht über Spotify erreicht wird.

Juse Ju: Das ist ganz interessant, die Musikwelt ist da total gespalten. Ich meine, dass ist ja auch cool. Ich spiele eine Tour, wo mehrere Städte auch hochverlegt oder ausverkauft wurden. Wenn jetzt irgendein schlauer Teenager auf die Idee käme auf meine Streams zu gucken und guckt sich dann die Streams von seinen Lieblingskünstlern an, dann denkt er: „Hä, das ist ja gar nichts!“ Ich wette aber, dass viele Künstler, die die hören, so eine Tour gar nicht spielen können, weil das Live Geschäft bei denen einfach nicht läuft. Ich verkaufe genauso viele Ticktes wie Platten und andere verkaufen halt das zehnfache an Platten, was ich verkaufe, aber zur gleichen Zeit spielen sie die gleiche Tour wie ich, das ist halt absurd. Aber es ist halt so wie es ist. Das ist halt so Buisness Zeug, da sollte man sich auch nicht so viel mit beschäftigen.

Dazu muss man überlegen an welche Zielgruppe sich beispielsweise Künstler der Modus-Mio Playlist richten. Und im Alter von 12-13 Jahren verbringt man normalerweise noch nicht so viel Zeit auf Konzerten.

Juse Ju: Ja, dürfen die ja auch gar nicht. Das ist ja auch gesetzlich gar nicht erlaubt. Die gehen dann mit ihren Eltern dahin, insofern kann man gleich zwei Tickets verkaufen. Das Interessante ist ja, das was unter dem Titel Deutschrap läuft, also was allgemein öffentlich oder in den Playlisten als Deutschrap fungiert, hat ja quasi mit dem, was ich mache, oder auch ganz viele andere Leute machen, gar nichts mehr zu tun. Ich fühle mich da ja auch gar nicht Zuhause. Die Leute denken immer Eminem, oder generell diese alten Rapper, ich bin ja jetzt so mittelalt, ich bin ja so alt wie Casper und Marteria, die hassen das Moderne und das stimmt ja überhaupt nicht. Ich habe ja eine Radiosendung und jeder, der die hört weiß, dass ich das auch feiere. Ich finde auch Trap und diese ganzen Sachen gut. Ich habe nur das Gefühl, dass es jetzt gerade, weil das beim Streaming so krass abgeht, eben sehr viele machen. Die Leute, die in diesem Genre was krasses und neues gemacht haben, ein Ufo oder ein LGoony, die finde ich ja auch sehr gut und die höre ich auch gerne, „ey yo flex up!“. Beverly Hills von Ufo ist auch ein starker Song. Es ist nur sehr vereinheitlicht, würde ich sagen.

Und mittlerweile, wenn du jetzt einen Bausa nimmst, der ja auch sehr populär ist, ist es ja gar nicht despektierlich gemeint, wenn ich sage, das ist ja kein Rap in dem Sinne. Ich meine, er singt ja eigentlich nur. Der hat sicher auch mal gerappt, aber ich weiß nicht wie man diese Musikrichtung dann nennt, Post-R‘n‘B oder so. Das ist ja voll okay, das kann man ja schon machen, aber diese Musikrichtung entwickelt sich da sehr stark hin. Und ich bin ja noch sehr stark auf Rap fokussiert, also ich singe ja fast gar nicht und benutze ganz selten Autotune. Ich habe so das Gefühl, dass ich näher an einer Band wie Von Wegen Lisbeth dran bin, als ein Bausa.

Was ich auch ganz interessant fand: Im Interview mit der Backspin hat Alligatoah gesagt, dass ihm immer vorgeworfen wird, dass er gar kein Rapper mehr sei. Das hat er dann von sich geschoben und aufgezeigt, dass seine Parts in jedem Song gerappt sind. Gleichzeitig singen andere vermeintliche Rapper überwiegend und werden mehr dem Rap Jargon zugeordnet, als er selbst.

Juse Ju: Ich brauche ja auch nicht diesen Stempel Deutschrap. Fakt ist, dass ich sehr straighten Rap mache, also ich rappe immer. Ich kann auch nichts anderes. Ich bin vor allem auch noch ein Nerd, was so Patterns und Skills und so angeht. Ich bin da so altmodisch, ich bin so wie VSK. Ich fühle mich in diesem Stempel Deutschrap auf jeden Fall nicht Zuhause, was das heutzutage halt bedeutet. Ich will aber trotzdem sagen, dass ich deutschsprachigen Rap mache. Aber natürlich passe ich in diese Listen, die auch Deutschrap heißen, nicht rein. Aber da passt auch Casper nicht rein, da passt auch das neue Album von denen, 1982, nicht rein, weil die da ja rappen. Wir sind da wirklich sehr weit auseinander. Also ich kann mich in den ganzen Jahren, in denen ich jetzt im deutschen Rap unterwegs bin nicht erinnern, dass es mal so weit auseinander war. Also dieser Sound von „denen“ und der Sound von „uns“ sozusagen.

Findest du Deutschrap heutzutage noch spannend?

Juse Ju: Es war sehr spannend, als es vor ein paar Jahren mit Moneyboy, der das Ganze so ein bisschen angestoßen hat, und Haftbefehls Russisch Roulette, was auch ein Album mit trappigeren Beats war, losging. Wenn man diese Autotune Geschichte nimmt, gab es diese Entwicklung vor drei, vier oder fünf Jahren. Klar, die Amis haben es schon früher gemacht, aber die es dann in Deutschland gemacht haben fand ich schon sehr interessant und auch sehr geil und habe auch vieles gefeiert. Mittlerweile sehe ich halt keine Innovation. Wer das im Moment noch am unterhaltsamsten und am besten macht ist Fler. Ich bin wie gesagt Musikredakteur und mache eine Deutschrap Sendung. Das heißt, ich höre mir das alles an. Ich sehe immer schon am Titelbild von YouTube, wenn ich sehe, das ist ein neuer Rapper, und denke: Ah, blaues und rosanes Licht aufgenommen mit einer Spiegelreflex. Lass mich raten, wenn ich darauf komme, fängt es gleich an mit „Ja, Ja, Ja, Ja“. Und wenn ich es dann anklicke passiert genau das. Dann denke ich mir: Hm, okay. Aber da sind wir wieder beim Gesetz von jeglicher Form von Kunst: Du bist nicht fresh, dann bist du nicht fresh. Dann bist du uninteressant. Leute die kritisiert werden, versuchen sich immer nur dagegen zu wehren und sagen: „Ja, die checken diese Musik nicht!“ Doch, doch, ich checke diese Musik. Die gibt es auch in gut, aber du bist halt schlecht. Du bist halt lame. Mich langweilt es halt. Das in diesen Playlisten kann ich mir wirklich nicht anhören. Das geht mir halt auf den Sack. Am Ende ist es ja die Frage ob du einen eigenen Style hast, etwas neues machst, andere Perspektiven eröffnest und ob du die Leute emotional ansprichst.

Also würdest du nicht mit Eminem mitgehen, der in einem Song von Kamikaze aufgreift, dass er das, was heutzutage im Rap abgeht, schlichtweg nicht mehr versteht und damit nichts anfangen kann?



Juse Ju: Nein. Ich finde ja gerade in Amiland gibt es schon auch echt Leute die in diesem Gangster Trap Ding wirklich verdammt geil sind, wobei es auch nicht dieser Trap ist, wie man sich das vorstellt. 21 Savage finde ich zum Beispiel ziemlich dope. Gerade dieses No Heart. Er hat einfach eine geile Art. Der wirkt auch immer so, als würde er nebenbei irgendwas sagen. Ich glaube Eminem regt sich auch mehr über diese Teenager auf. Ãœber Lil Pump hat er sich, glaube ich, sehr geärgert. Und bei Lil Pump muss man sagen, dass das einzige was er kann „Uh“ sagen ist. Aber wenn er damit die Kids erwischt ist das halt so. Lil Pump zum Beispiel interessiert mich jetzt nicht. Aber Migos würden mich schon interessieren. Oder halt 21 Savage. In den USA hast du aber allgemein als wacker Künstler wahrscheinlich einfach keine Chance. Guck dir mal an wer in den USA deine Konkurrenz ist, da kannst du ja nicht so scheiße sein. Nicki Minaj zum Beispiel ist ja total pop, aber du musst erst mal so rappen können wie sie. Bei den Deutschen man kann ja schon benennen nach wem sie sich orientieren. Als ich jünger war waren halt viele auf Dipset hängen geblieben und haben sich halt daran orientiert. Dann kam Lil Wayne, an dem haben sich dann auch viele orientiert. Dann kamen die Trap Leute. Drake, Kanye, Travis Scott, Young Thug, Lil B, das sind so die woran sich die Leute in Deutschland aktuell dran orientieren. Manche kriegen es halt besser hin und manche schlechter. Aber was die machen wollen ist schon immer noch Ami-Style, also es ist jetzt nicht so wie in anderen Musikrichtungen. Wenn du elektronische Musik nimmst, zum Beispiel Kraftwerk, da gingen aus Deutschland richtige Innovationen heraus. Das hast du im Rap eigentlich nicht, würde ich sagen.

Teilweise kommt die Inspiration auch aus Frankreich. Denkst du, dass Deutschland jemals diese Position einnehmen wird und als Inspiration für andere Länder fungieren wird?

Juse Ju: Frankreich ist ein gutes Stichwort! Das ist ja das Interessante gewesen, dass die deutschen Gangster Rapper, die erfolgreich wurden, eben nicht versucht haben die Amis zu kopieren, sondern dass die sich an Frankreich orientiert haben. Das war ja auch viel näher an der Lebenswelt von Leuten in Deutschland, als die amerikanischen Ghettos. Also klar, an Frankreich haben sich viele orientiert. Dass aber auch ziemlich gut und auch zurecht. Frankreich entwickelt auch eher einen eigenen Stil als Deutschland, würde ich sagen Dieser Techno Rap war vielleicht etwas wo ich gedacht habe, dass es das nicht irgendwo anders gibt. Es gab ja mal Mitte der Zweitausender eine Welle, wo alle Techno Songs gemacht haben. Das war eine sehr deutsche Entwicklung, das habe ich nicht woanders gesehen, aber ansonsten eher nicht.


Vielen Dank Juse Ju!

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